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Weiteres Terrorarchiv in ehemaligem Folterkeller
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
01.11.08     A+ | a-
Weiteres Terrorarchiv in ehemaligem Folterkeller der Stroessnerdiktatur gefunden

Asunción/Kempen, 1. November 08
Der Gouverneur von Misiones, der Liberale Victor Hugo Pereira, war einer der Teilnehmer der Gouverneursversammlung in Asunción vom 23. Oktober, die im Gebäude des Innenministeriums aus der Stroessner-Ära stattfand.
Pereira nutzte den Gang zur Toilette, um eine verdächtige Tür zu öffnen, hinter der ein grausiges Relikt aus der Diktatur zu vermuten war.
Einen entsprechenden Hinweis hatte der Menschenrechtsaktivist Dr. Martín Almada vor einiger Zeit von einem „cadete“ erhalten.
Der ehemalige Soldat hatte ihm von einer Wand berichtet, die kürzlich im Keller des Gebäudes gemauert  worden sei, um einen geheimen Folterkeller zu verbergen.
Den Hinweis hatte Almada an seinen Gouverneursfreund weiter gegeben.
Pereira nutzte einen Moment der Unaufmerksamkeit des Wachpostens, öffnete die Tür und stieg  in einen Keller hinab, wo er bei einer ersten Inspektion eine „roldana“ (eine Art Flaschenzug) fand, ein damals übliches Folterinstrument, mit dem Gefangene gequält wurden.

Er benachrichtigte Almada, der kurze Zeit  später mit einer Kommission unter Leitung des Vizeministers der Inneren Sicherheit, Carmelo Caballero, erschien. Presse und Fernsehen folgten auf dem Fuße.
Nach dem Niederreißen der Trennmauer wurden Notizbücher und Fotoalben sowie zahlreiche Ausweise von damals inhaftierten Personen gefunden, u. a. auch von Argentiniern und Chilenen, die in der Stroessnerdiktatur als „Kommunisten“ verhaftet worden waren.
Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden sie hier, in diesem Keller, gefoltert.
Womöglich sogar im Beisein von Sabino Agusto Montanaro, damaliger Innenminister und Vollstrecker Stroessners, der jetzt völlig unbehelligt in Honduras  lebt.
Montanaro war der am meisten gefürchtete und gehasste Scherge des Diktators im Range eines Ministers, der sich bisweilen höchstpersönlich an Foltersitzungen zu ergötzen pflegte.

In dieser Szene vom 31. Oktober in dem wieder entdeckten Keller, bei Licht von Taschenlampen und Kameraleuchten, ist es nicht nur Martín Almada, der um Fassung ringt und Tränen vergießt. Auch andere kämpfen mit ihren Emotionen.

Gouverneur Pereira hält Dokumente und Fotografien von einigen Folteropfern in die Höhe, u. a. von Victor Garcia Romero, einem als „Kommunist“ verfolgten Bauern aus Pereiras Departament Misiones.

Dazu hier das eindrucksvolle Kurzvideo der par. Zeitung „Ultima Hora“

„Wir weinen und schreien, vor Zorn, aber auch vor Freude, dass hier ein weiterer Teil des Terrorarchivs entdeckt wurde. Und damit dies nie wieder in Paraguay passiert! Aber es ist traurig, dass diese Suche statt von staatlichen Organen wieder von den Opfern geleistet wird.“

Almada war nicht zum ersten Male fündig geworden. Im Dezember 1992 hatte er in einer spektakulären Aktion das „Archivo del Terror“ entdeckt und gesichert, in welchem sich zahlreiche Verbrechen der Stroessnerdiktatur und der „Operación Condor“ dokumentiert fanden.
Jenes Geheimbundes von fünf südamerikanischen Staaten, die sich gegenseitig ihre jeweiligen „Staatsfeinde“ auslieferten.

Dies ist  -  60 Jahre nach Verkündung der universalen Menschenrechte  -  ein historischer Moment, ein Triumph! Wir befinden uns in einem Folterzentrum der ´Operation Condor´. Hier mussten Paraguayer, Argentinier, Chilenen und Uruguayer stundenlang in hüfttiefem Wasser um ihr Überleben kämpfen, um am Ende ertränkt zu werden. Der Völkermörder Montanaro muss ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden!“, ruft Almada mit um Fassung ringender Stimme in die Mikrofone.
Die gefundenen Unterlagen werden nun der für Menschenrechte zuständigen Staatsanwaltschaft übergeben, um in gesetzlichem Rahmen die weiteren Schritte zu veranlassen.
Unter einer Regierung Lugo kann man hoffentlich davon ausgehen, dass die Dokumente nicht  -  wie seinerzeit  -  geradezu verschwörerisch vor Vernichtung bewahrt werden müssen. Gleichwohl sind wir sicher, dass Martín Almada Entsprechendes bedacht und veranlasst hat.
Er, der Verfolgung und Folter im Übermaß erlebt hat, hütet Beweise gegen die Täter wie seinen Augapfel.

Wir mogeln uns auf die Estancia des Sabino Montanaro
Samstag früh, einen Tag nach dem Kellerereignis im fernen Asunción, das auch uns nicht unberührt lässt, senden wir unserem Freund und Partner Martín Almada ein Schreiben, in der wir unsere Genugtuung über das Ereignis zum Ausdruck bringen, aber auch unsere Solidarität in einer für ihn bei aller Freude gewiss nicht leichten Stunde.

Wir sind immer wieder erstaunt, mit welcher Kraft und Entschlossenheit der Siebzigjährige, dessen Gesundheit durch die erlittenen Qualen äußerst labil ist, gegen jene „impunidad“, die Straflosigkeit, kämpft, jenes traurige Markenzeichen in der Folge vieler ehemaliger südamerikanischer Militärregimes, mit der die Täter geschont und die Opfer verhöhnt wurden.
Jetzt wird Martín Almada wiederum alles in die Wege leiten, um jenen Verbrecher Montanaro zu jagen  -  der spanische Richter Garzón, der u. a. Pinochet auf die Anklagebank gebracht hat,  genießt Almadas höchsten Respekt.
Martín freut sich darauf, den Europäer mit Material zu versorgen, so könnte eines der positiven Beispiele von Globalisierung daraus entstehen.
Ein weiterer Adressat wird der italienische Strafrichter Capaldo sein, der zur Zeit in Italien  Nachforschungen zu Tätern der „Operation Condor“ betreibt. Kürzlich erst hatte Capaldo die Verhaftung von 145 südamerikanischen Militärs angeordnet.

„Mit Hilfe dieser gefundenen Dokumente können wir jetzt auch paraguayischen Zivilisten, Polizisten und Militärs, welche in die Operation Condor verwickelt waren, den Prozess machen“, so Almada.
Er nannte in diesem Zusammenhang die Namen der Herren Dr. Juan Manuel Morales (Chef des Obersten Wahlgerichtes) und Jorge L. S. Guanes.

Das Gesicht jenes Innenministers von Alfredo Stroessner ist uns wohl vertraut, in den 70er Jahren sahen wir ihn öfter auf Veranstaltungen in Asunción, uns selber grauste  -  egoistischerweise  -  vor ihm mehr wegen unserer eigenen kleinen „subversiven“ humanitären (damals  kommunistischen) Taten als wegen der gnadenlosen Verfolgung der wirklichen Opfer durch ihn. Aber wir sahen ihn auch noch kürzlich. Allerdings nur an einer Wand.  In Öl.
Nein, nicht in siedendem Öl, in dem mancher ihn gern baden würde  - auch nicht an die Wand gestellt, wie andere es gern sähen, sondern auf einem Gemälde von allerdings grauslichem Realismus. Es hängt an der Wand des prächtigen Wohnzimmers auf seiner großen Estancia, bei der vorbei zu schauen uns einmal reizte.
Von Honduras aus lässt Montanaro seine illegalen Besitztümer unbeschwert verwalten, derartiges Diebesgut in Paraguay zu besichtigen war nie ein Problem in dieser merkwürdigen Republik, wo der Stolz auf Ergaunertes allemal größer ist als die Angst vor möglichen Folgen begangenen Unrechts (von Scham nicht zu reden ...)

Oben war die Rede von dem Folteropfer Romero aus Misiones, wo der Kellereindringling, Almadas Freund Pereira, das Amt des Gouverneurs inne hat.
Vor drei Jahren hatten wir Pereira in der Departamentshauptstadt San Juan Bautista kennen gelernt. Anlass war eine von der „Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission“ veranstaltete öffentliche Anhörung derjenigen Opfer und Zeugen der Diktatur, die aus dieser Gegend stammen und zum größten Teil Mitglieder der sogenannten „Ligas Agrarias Cristianas“ waren.
Diese „Christlichen Bauernligen“ waren unter Anleitung von Jesuitenpadres entstanden und praktizierten einen christlich – solidarischen Lebenstil  -  auch in kämpferischer Opposition zum System  -  der Stroessners besonderen Hass hervor rief.
In den mittleren Siebzigern wurden die Ligas blutig verfolgt und praktisch zerrieben, viele ihrer Mitglieder gefangen, gefoltert, ermordet.

In jener „Audiencia Pública“ kamen nach 30 Jahren die Gräueltaten zum ersten Mal zu Gehör, wir erinnern uns an erschütternde Szenen und Zeugenaussagen.
Der liberale Gouverneur mit dem literarischen Namen Victor Hugo Pereira hatte uns beeindruckt durch sein Engagement, mit dem er diese Veranstaltung zu seiner Sache gemacht hatte.

Er hatte uns das ehemalige Gefängnis „Abraham Cué“ mit seinem düsteren Folterkeller gezeigt (für die vielen Mitglieder der Bauernligen, die ihn alle ausnahmslos durchlitten), der bis vor kurzem als Regionalstrafanstalt eine traurige Nachfolgeeinrichtung bildete.
Traurig, weil jener Keller auch Jahre nach seiner ursprünglichen „Nutzung“ immer noch ein Schreckensort war, an dem Gefangene zusammengepfercht hausen mussten.
(Er wurde erst im letzten Jahr geschlossen und soll ebenfalls eine Gedenkstätte,  ein „Museo de la Memoria“, werden).

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